In wenigen Tagen erscheint 'Der Himmel über Farefyr', der dritte Band der Farefyr-Haupttrilogie, die ich gemeinsam mit meinem Mann verfasst habe! Wir sind schon richtig gespannt, wie er bei euch ankommt *freu*
Heute gibt es eine erste kleine Leseprobe aus dem Roman. Aber ACHTUNG, sie enthält SPOILER für 'Die Gossen von Farefyr' und 'Die Sterne über Farefyr'! Wen das nicht stört, weil er die Bücher schon gelesen hat, dem wünsche ich jetzt viel Vergnügen bei dieser Kostprobe!
Schweigend sah Temperance dabei zu, wie Miles dem
Offizier einen Sack voll Gold überreichte. Er kaufte sie frei, verschonte sie
davor, in den Krieg ziehen zu müssen. Ihr Herz schlug dennoch schnell und würde
es tun, bis diese Leute von ihrem Hof verschwanden und ihnen erneut ihren
Frieden ließen. In ihrem Leben hatte sie genug Blut vergossen, genug Schlachten
geschlagen und Leben geraubt. Der verdammte Krieg konnte ihr gestohlen bleiben.
Keith hielt sich ebenfalls im Hintergrund und wirkte
seltsam unruhig, während er die beiden Soldaten, die den Rekrutierer
begleiteten, nicht aus den Augen ließ.
Auch ihr kamen sie bekannt vor, doch sie konnte sie
nicht einordnen.
Der Offizier, der in jedem Winkel nach kriegsfähigen
Leuten suchte, schien enttäuscht, hier nicht fündig zu werden. Man sah ihm den
Ärger an, mit dem er das Gold – das Lösegeld – in seiner Tasche
verstaute und einen seiner Untergebenen anwies, sie von der Liste zu streichen.
Der Kerl tat, wie ihm geheißen, doch stockte plötzlich
mitten in der Bewegung, um auf das Blatt zu starren.
Wer war dieser Mann, zur Hölle, und welcher Name ließ
ihn innehalten?
Ihre Hände zitterten mit einem Mal und ein
grauenvolles Gefühl beschlich sie. Eine schreckliche Vorahnung...
Der Soldat flüsterte seinem Vorgesetzten etwas ins Ohr
und dieser fixierte Keith.
"Keith Caruthers, Ihr werdet beschuldigt, die
frühere Arbeitgeberin meiner beiden Begleiter betreffend eines mündlichen
Vertrages betrogen zu haben."
"Ich weiß nicht einmal, wer diese Männer
sind", erwiderte Keith wenig glaubhaft und versuchte sich an seinem
gewohnten Grinsen. Sein gehetzter Blick und die brüchige Stimme straften seine
Worte Lügen.
"Verarscht mich nicht, Dreckskerl, ich erinnere
mich an die Sache", knurrte der Offizier, ehe sich ein grimmiges Lächeln
auf seine Lippen schlich. "Der Vorfall mit Madame Loretta war bereits dem
Sheriff gemeldet. Verbrechern ist es nicht gestattet, sich freizukaufen.
Ihr werdet mit uns kommen."
Während Temperance den Atem anhielt, schnaubte
Nicholas, der am Absatz der Treppe stand, leise – vor Belustigung?
"Das könnt Ihr nicht tun", mischte Miles
sich aufgebracht ein. "Lord Caruthers ist mein Vetter und ich bin
der Viscount von..."
"Mich interessiert einen Scheißdreck, wer Ihr
seid!" Der Offizier trat einen Schritt auf Miles zu und wollte ihm gegen
die Brust tippen, doch Theo ging dazwischen.
"Finger weg von meinem Mann", befahl er und
stellte sich schützend vor diesen.
"Dann soll er sich raushalten und uns unsere
Arbeit tun lassen. Caruthers, mitkommen, seid nicht dumm! Ihr habt keine Wahl!
Zur Not lasse ich Euch gewaltsam hier rausschleifen."
Ihr Herz verwehrte ihr einige Schläge, dann setzte
Keith sich in Bewegung, um seinen Mantel vom Haken zu reißen und sich den Hut,
der dem ihren noch immer so verblüffend ähnlich sah, aufzusetzen. "Passt
auf meinen Jungen auf."
Wortlos stolperte Temperance ihm entgegen und ergriff
seinen Oberarm, um zu ihm aufzusehen und heftig den Kopf zu schütteln. Es
musste eine andere Möglichkeit geben. Er durfte nicht gehen! Ihr Blick
verschwamm, während sie den seinen gefangen hielt. Seine Augen waren so grün
wie eh und je, doch hatten ihr schelmisches Leuchten verloren. Vor einer
langen Weile. "Geh nicht", würgte sie hervor. Wenn er jetzt ging,
würden sie sich nie wiedersehen, das spürte sie.
"Lass nur, niemand wird ihn vermissen",
mischte Nicholas sich lallend ein.
"Halt den Mund", wies sie ihren Ehemann
zurecht und mühte sich damit ab, ihre Tränen in den Augen zu halten.
Keith warf Nicholas einen nüchternen Blick zu, ehe er
erneut den ihren erwiderte. "Warum? Er hat doch recht", murmelte er
bitter und mit einem Ruck machte er sich los, um den Männern in die Dunkelheit
zu folgen.
Miles rief mit hörbarer Verzweiflung nach seinem
Vetter und wollte ihm nach, doch Theo hielt ihn davon ab.
Keith warf keinen Blick zurück. Keinen noch so
flüchtigen. Es gab nichts, was ihn hielt. Nicht sein Sohn, nicht sein
Vetter und am allerwenigsten sie...
Heißes Nass benetzte ihre Wangen und ihr Magen drehte
sich unaufhörlich. Ihre Lippen öffneten sich, um Keith zu sagen, dass sie
ihn vermissen würde, doch kein einziger Laut entrang sich ihrer engen Kehle,
während sie Keith nachblickte, bis er mit der Finsternis der Nacht eins wurde.
*
Fünf Tage war er nun fort. Keine Stunde war seither
verstrichen, in der sie nicht an ihn dachte. Keine Stunde, in der ihr
nicht zumindest einmal die Luft zum Atmen weggeblieben war, weil sie glaubte,
es nicht mehr zu ertragen.
Es war ihr unverständlich, wie es weitergehen sollte.
Die Kinder weinten sich jeden Abend in den Schlaf und sie selbst fand keinen.
Ihr Leben war zuvor schon zerbrochen, doch nun glitt ihr Scherbe um Scherbe aus
den blutigen Händen und sie war nicht in der Lage, eine einzige davon
aufzusammeln.
Lautlos weinend stand sie am Hügel, um beinah
feindselig auf den Hof hinabzublicken. Die Hunde – Pikes Nachkommen, die ihm so
sehr ähnelten – standen zu ihren Seiten und sahen verunsichert zu ihr auf, ohne
auch nur die Schwanzspitzen zu bewegen. Gott, wie sehr sie Pike vermisste...
und Dexter... und all die Dinge, die verloren gegangen waren. Wohin war ihre
Stärke, ihr Mut, verschwunden? Das, was Nicholas einst an ihr geliebt hatte?
Was war passiert?
Kraftlos setzte sie ihren Weg in der Dunkelheit fort
und nur der Mond sah sie vor Gavins Grab niederknien, um das hölzerne Kreuz mit
den Fingerspitzen zu berühren. "Was soll ich tun? Sag es mir. Er ist mein
bester Freund. Mehr noch."
Heiße, salzige Tränen tropften von ihren Wangen auf
die Erde und sie fühlte Scham darüber. Ihre Verzweiflung reichte so tief wie
nie zuvor. Trotz ihrer Tochter und den Jungen hatte sie das Gefühl, ihr sei nichts
geblieben. Nichts.
Geh ihn holen...
Den Atem anhaltend fragte sie sich, woher die sanfte
Stimme kam, die in ihrem Kopf diese Worte flüsterte? War es ihr eigener Gedanke
oder war es Gavin, der ihr den Rat zuwisperte, den sie von ihm verlangte?
Hol ihn zurück...
Ein Schlucken konnte ihre Kehle nicht weiten, die wie
zugeschnürt war. Und plötzlich wusste sie, dass sie es tun musste. Es
war das einzig Richtige.
Schlagartig versiegten ihre Tränen. Sie konnte nicht
zulassen, dass ihm etwas geschah. Sie durfte dem Schicksal nicht gestatten, ihn
ihr wegzunehmen. Sie sollte längst auf dem Weg sein. Sie alle sollten
längst gegangen sein, um Keith zu holen.
Mit einem Ruck kam sie auf die Beine und stürmte auf
das Haus zu, in welchem sie sich nicht mehr zuhause fühlte. Ihre schnellen
Schritte, deren Lautstärke sie nicht dämpfte, obwohl es Nacht war, führten sie
nach oben in ihr Schlafgemach, in dem sie seit langer Zeit alleine schlief.
Eilig riss sie ein paar Kleidungsstücke aus dem
Schrank, um sie in eine Tasche zu stopfen. In der hintersten Ecke verborgen
ruhte ihr alter Mantel, sie zog ihn hervor und mit ihm den Waffengürtel aus
abgegriffenem Leder. Sie fuhr über die Griffe der Dolche und ließ ihre Finger
über die Klinge des doppelt geschliffenen Jagdmessers gleiten. Wie lange war
das alles her? Eine ganze Ewigkeit.
Vor dem Spiegel schlüpfte sie ein weiteres Mal in schwarz,
legte sich den schweren Gürtel um und warf sich den Mantel über. Für einen
langen Moment betrachtete sie den Nachtschatten, den sie so lange nicht mehr
gesehen hatte.
Dann hängte sie sich die Tasche über die Schulter und
hastete in das Zimmer der Kinder. Jedes von ihnen hatte einen eigenen Raum,
doch die Nächte verbrachten sie meist gemeinsam.
Lautlos beugte sie sich übers Bett. Ihre Tochter
schlug die Augen auf, als hätte sie ihre Anwesenheit gespürt. Das helle Blau,
vermischt mit Turnpikes Grau, leuchtete.
"Du gehst Kenneths Dad holen, ja? Bitte sag, dass
du es tust", wisperte die Kleine hoffnungsvoll und Temperance nickte. Sie
hatten in den letzten Tagen oft darüber gesprochen. Wieder verschwamm ihr der
Blick.
"Ich hole ihn zurück", erwiderte sie heiser
und beugte sich zu Idared hinab, um ihr die Stirn zu küssen, ehe sie dasselbe
bei den schlafenden Jungen tat. Kenneth sah Keith so schrecklich ähnlich, dass
sich ihr Magen unwohl verkrampfte.
Red klammerte sich an ihre Hand und forderte einen
weiteren Kuss, den Temperance ihr willig gab. "Wirst du lange weg
sein?"
"Ich werde mich beeilen, das verspreche ich
dir." Mühsam löste sie sich von ihrem Kind und bemühte sich, diese
Liebkosung in ihr Gedächtnis zu brennen, um sie niemals zu vergessen – egal,
was kommen mochte.
Das Geräusch der Tür, als sie diese hinter sich ins
Schloss zog, war so schrecklich endgültig, dass es ihr Angst einjagte. Angst,
die sie nicht gebrauchen konnte.
Unten im Salon saßen Miles und Theo vor dem Kamin. Sie
blieb im Vorraum stehen. Miles' Gesicht war verweint und Theo gab sich alle
Mühe, ihn mit sanften Worten zu trösten. Die Männer lagen sich in den Armen und
ein Stich fuhr ihr durchs Herz, als sie sich daran erinnerte, wie lange sie
nicht mehr auf diese Weise in jemandes Arme genommen worden war.
"Ich gehe ihn zurückholen", meinte sie und
störte damit die Szene. Wenn keiner von euch es tut, werde ich es tun.
Sie behielt den leisen Vorwurf für sich, um niemanden unnötigerweise zu
kränken.
Miles erhob sich und riss sie an sich, um sie an seine
Brust zu drücken. "Nein, bitte geh nicht. Ich kann dich nicht auch noch
verlieren. Bleib hier."
Ihre Augen brannten, doch sie riss sich zusammen,
während sie den Kopf an ihres Freundes Schulter legte. "Ich kann
nicht. Keith kommt nicht zurück, wenn ich nicht gehe und ihn hole. Ich spüre
es."
"Schwör mir, dass du zurückkommst", wisperte
Miles tränennass und fuhr ihr mit seinen langgliedrigen Fingern durchs Haar.
Sie genoss die Zärtlichkeit mit geschlossenen Augen und rang sich dieses
Versprechen ab, obgleich sie nicht wusste, ob sie es halten konnte. Sie ließ
sich auch von Theo umarmen, ehe sie aus dem Haus ging.
Ein Blick zurück ließ sie erkennen, dass in Nicholas'
Zimmer kein Licht brannte.
Das tat es selten. Meist saß er dort drinnen im
Dunkeln. Und an diesem Tag der Woche, wie an zwei weiteren, war er nicht
zuhause.
Sie wusste nicht, wo er sich herumtrieb, und hatte es
nie gewagt, ihn danach zu fragen, weil sie Angst vor seiner Antwort hatte und
weil sie sie doch tief in ihrem Inneren wusste. Es tat unglaublich weh, sich
vorzustellen, wie er in einem fremden Bett mit einer anderen Frau lag...
Die Hunde waren ihr immer noch dicht auf den Fersen,
als sie in den Stall eilte, um ihre Stute zu holen und ihr das Zaumzeug
überzuwerfen.
Filiqua schnaubte den Rüden freundschaftlich entgegen,
als Temperance sich zu diesen hinabbeugte, um sie mit Tränen in den Augen zu
liebkosen.
„Ich kann euch nicht mitnehmen. Zu gefährlich,
zu ungewiss“, wisperte sie und drückte die beiden, die leise fiepten,
als sie begriffen. Sie küsste erst Thunder, dann Rince zwischen die treuen,
braunen Augen, dann erhob sie sich. „Bleibt.“
Ihr Befehl wurde wimmernd befolgt, als sie den
Schimmel am Zügel ergriff und auf das Tor zuging, durch welches sie wenige
Momente später entschlossen schritt.
Sie warf einen weiteren Blick zurück, der ihr beinah
das Herz in Stücke riss, und musste eine Träne von ihrer Wange wischen.
Der Kies knirschte unter ihren Stiefelsohlen und Filiquas
beschlagenen Hufen. Der herbstliche Wind fuhr ihr ins Gesicht, zerzauste ihr
das Haar.
Sie ließ den Hof hinter sich und folgte den funkelnden
Sternen, die sie nach Farefyr Stadt führen würden. Bis dorthin würde sie
hoffentlich wissen, was sie zu tun hatte, um Keith vor seinem Schicksal zu
bewahren.
Der Krieg war wie ein grausames Spiel, in dem es keine
Rolle spielte, ob man sich gut schlug oder nicht. Man brauchte Glück,
um zu überleben, und dieses schien sie alle vor langer Zeit verlassen zu haben.
Sie zitterte vor Panik, die ihr den Rücken hinablief und sich wie die knochigen
Finger des Sensenmannes anfühlte.
Eine dunkle, drohende Stimme hinter ihr ließ ihr den
Herzschlag versiegen und sie erstarren: "Wenn du jetzt gehst, ist es vorbei,
Mädchen." Sein Knurren klang so fremd, wie es nach all den Jahren nicht
sein sollte.
Der Schmerz in ihren Eingeweiden wurde fast
unerträglich, ihr Herz zog sich in einem Krampf zusammen, der nicht nachlassen
wollte. Sie konnte nicht atmen.
Die Angst, ihn für immer zu verlieren, war für einen
Moment übermächtig. Doch dann besann sie sich und machte sich bewusst, dass sie
ihn längst verloren hatte.
Sie wandte sich nicht zu Nicholas Turnpike um, sondern
schloss die Augen, um ihre Tränen auf ihre Wangen stürzen zu lassen. "Es
ist doch längst vorbei, Nicholas. Geh zurück zu deiner Hure." Mit diesen
Worten, die nur mühsam über ihre zitternden Lippen kamen, schwang sie sich auf
den ungesattelten Rücken ihrer Stute und galoppierte sie aus dem Stand an. Sie
hörte Nicholas rufen. Sie ignorierte ihn.
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